In einem fremden Land, vor langer langer Zeit lebte ein König, der hatte schreckliche Angst vor allem, was er nicht kannte. Und -unter uns- weil er sich vor allem Neuen fürchtete, lebte er in ständiger Angst und bekämpfte alles Fremde in seinem Reich. So hatte der König auch Angst vor den Drachen. Er hatte wohl vergessen, dass sie es eint gewesen waren, die den kleinen Menschlingen das Feuer und die Wärme gebracht hatten.
Der König schickte Drachentöter in alle Himmelsrichtungen aus, um die Drachen zu töten. Das Volk jubelte ihm zu, denn die Drachen hatten angefangen, die Dörfer der Menschen zu zerstören, um sich gegen die Morde an ihren Vätern, Kindern, Tanten und Großvätern zu rächen.
So kam es, dass ein junger Ritter namens Leander mit seiner jungen Frau und seine kleine Tochter auf eine einsame Festung im Dunkelwald geschickt wurde, um dort das letzte Drachenest auszuheben. Als die Drei in der alten zugigen Burg angekommen waren, die hoch oben auf einem öden Felsplateau lag, waren sie alle ganz bang. Leander machte sich gleich auf die Suche nach dem letzten Drachen, denn die triste Umgebung gefielen ihm und seiner kleinen Familie nicht. Seine Frau hieß Fiala und seine Tochter Leona.
Die Tage zogen dahin. Leander streifte durch die Höhlen unterhalb der Burg, Fiala saß am Fenster und stickte und Leona saß bei ihrer Mutter und spielte. Nun war es aber ganz schön langweilig und einsam auf der Burg, nur mit den Eltern und den Dienstboten, die allesamt schon alt und griesgrämig waren. So kam es, das Leona eines Tages heimlich ihrem Vater folgte, als der durch die Verliese in die Höhlen stieg. Ganz leise schlich sie hinter dem Vater her. Und so kam es, dass sie ihr größtes Abenteuer erlebte.
Leander war es leid, durch die feuchten, dunklen Gänge zu streifen. Hier unten war außer Kälte und Spinnweben nichts zu finden. Er konnte sich nicht vorstellen, dass stolze Wesen wie Drachen in solchen Löchern hausen würden. Jedenfalls ging er gedankenverloren in einen dunklen Gang und stolperte unversehens über etwas. Das Etwas war der Schweif eines großen alten Drachens! Der Drache selbst erschreckte sich auch sehr, als ihn da plötzlich etwas auf den Schwanz trat und spuckte erstmal Feuer in diese Richtung. Leander sprang entsetzt zurück. Sogar so weit zurück, dass er Leona umrannte, die hinter ihm stand. Nun war guter Rat teuer! Der Drache hatte sich mittlerweile umgedreht und sah sehr bedrohlich aus. Um Leonas und sein Leben zu retten griff Leander an und stach sein Schwert in den Bauch des Drachens. Der Drache fauchte noch einmal ganz böse und fiel nach vorn, so dass es in dem Tunnel ganz mächtig rumpelte. Leander nahm erstmal Leona ganz fest in den Arm weil er froh, war, dass sie beide noch lebten. Dann schimpfte er mit ihr, weil sie sich durch das Hinterherschleichen in große Gefahr gebracht hatte. Dann nahmen beide eine Fackel und gingen zum Drachen, um nachzusehen, ob er auch wirklich tot war. Der Drache lag groß und reglos da. Als Leander genauer hinsah, merkte er, das es ein sehr altes Drachenweibchen war. Als er um denDrachen herum gegangen war, stutzte er. Da war ein Nest! Und dort lagen, weit zerstreut die Schalen eines Dracheneies! Die alte Drachenlady hatte ein Junges gehabt und sie hatte wie er nur versucht, Ihr Kind zu schützen.
Für einen Augenblick war Leander traurig, weil er ein Wesen getötet hatte, das ebenfalls ein Kind hatte. Aber dann kam wieder die Angst hoch. Wo war der Babydrache? Wie groß war er schon?
Schnell nahm er Leona an die Hand und lief mit ihr zurück in die Burg. Dort lieferte er Leona in der Kemenate bei Fiala ab und machte sich wieder auf den Weg in die Höhlen. Fiala fragte derweil Leona darüber aus, was geschehen war und sie berichtete stockend von ihrem Abenteuer. Dass der Papa ganz mutig den Drachen getötet habe und das sie dann gemerkt hatten, das da noch irgendwo ein Drachenkind sein muss. Als Leona geendet hatte schwieg Fiala lange. Sie hatte gehofft, nach dem Tod des Drachens wieder zurück an den Hof kehren zu dürfen um endlich wieder lachen und tanzen zu können. Doch ihr war klar, dass Leander nicht eher zurück an den Hof kommen durfte, bis auch der letzte Drache gestorben war.
Am Abend brachten Fiala und Leander Leona ins Bett. Aber da sie einen so aufregenden Tag hinter sich hatte, konnte sie nicht schlafen und schlich sich mit ihrem Lieblingstuch hinaus auf den höchsten Turm der Burg. Dort setzte sie sich auf eine Zinne und schaute in den Mond. Plötzlich tropfte da etwas auf ihr Nachthemd und das war sehr warm. Sie wischte es ab und schaute nach oben, von wo das warme Wasser gekommen war. Und was saß da auf dem Fahnenmast?!? Ein kleiner Drache und der weinte! Vor Schreck sagte Leona „Huch!“ und der Drache bemerkte sie. Er richtete den Blick auf sie und seine Augen, die vom Weinen schon ganz rot im dunkeln leuchteten, funkelten mit einem mal wütend. „DU! Du bist schuld, dass meine Mama tot ist!“ schluchzte der kleine Drache und versuchte, einen Feuerstrahl auf Leona zu schleudern. Aber da er so traurig war und die Tränen das Feuer fast zum Ausgehen gebracht hatten, kam nur ein ganz kleiner Feuer-Schluckauf zustande. Leona hatte schreckliche Angst, doch gleichzeitig rührte sie der kleine Drache auch. Sie konnte sich gut vorstellen, wie traurig sie gewesen wäre, wenn die Drachendame ihren Papa getötet hätte. Jedenfalls hielt Leona dem kleinen Drachen still ihr Tuch hin und nach einer kleinen Weile nahm der Drache es und schnäuzte sich kräftig damit. Kleine Fünkchen aus seiner Nase machten dabei ein lustiges Sternenmuster in die Decke. Nun schaute der kleine Drache schon gar nicht mehr so grimmig.
Leona schaute zu ihm auf und bat ihn ganz leise, sie doch nicht zu verbrennen, es täte ihr auch schrecklich leid, dass seine Mama gestorben sei, aber sie habe doch ihren Papa und Leona angegriffen und da sei Leander gar nichts anderes übrig geblieben als sich zu wehren. Da fingen die Tränen bei dem kleinen Drachen gleich wieder an zu laufen, aber wenigstens spuckte er kein Feuer mehr. Leise schniefend erzählte er, dass seine Mama schon lange Angst gehabt habe, da sie und er die letzten Drachen auf dieser Erde seien und sie gewusst habe, dass man sie jagte. Und nun sei er der allerallerletzte Drache auf der Welt und er sei soooo einsam ohne seine Mama. Da konnte Leona nicht anders und kletterte auf den Absatz, nahm den kleinen Drachen vom Fahnenmast und tröstete ihn. In dieser Nacht saßen sie lange zusammen.
Von da an schlich sich Leona nachts oft zu dem kleinen Drachen, der übrigens Dragonfly hieß, weil er, als er aus dem Ei geschlüpft war ein so keiner Drache gewesen war, dass seine Mama ihn liebevoll „Fly“ gerufen hatte. Jedenfalls spielten sie nachts miteinander, teilten Geheimnisse und wurden ganz dolle Freunde.
Leona war sehr traurig darüber, dass ihr Vater seine Tage damit zubrachte, die Burg nach Dragonfly abzusuchen. Sie hatte Dragonfly längst so lieb gewonnen, dass sie ihn beschützen wollte. So gingen die Tage, Wochen und Monate ins Land und es wurde Winter. Dragonfly war mittlerweile schon doppelt so groß wie Leona, da Drachenkinder schneller wachsen als Menschenkinder. Längst machten sich die beiden nachts eine Freude daraus, in die kalte Nachtluft hinauszufliegen und den Mond zu umkreisen.
Als dann der erste Schnee fiel, wurden die Bediensteten der Burg noch mürrischer und griesgrämiger als dies vorher schon der Fall gewesen war. Sie hatten Angst vor dem Winter in Dunkelwald, der kalt, lang und dunkel war. Das Leben auf der Burg wurde nun beschwerlich und nach und nach wurde das Essen immer knapper. Und es wurde immer kälter. Leona konnte gar nicht genug Kleider übereinander anziehen, um sich zu wärmen. Schließlich war nur noch Brot und Wasser da und das Holz wurde auch immer knapper. Die Diener verschwanden nach und nach nachts und nahmen mit, was noch an Vorräten da war und Leona, Fiala und Leander litten Hunger und Kälte und schließlich wurde Fiala krank. Leander und Leona machten sich große Sorge, Leander hatte die Jagd nach dem Drachen schon lange eingestellt, weil er versucht hatte, im umliegenden Wald Wild zum essen zu jagen. Aber bis auf Rebhühner und den ein oder anderen Hasen hatte er nichts gefangen.
Fiala wurde immer schwächer und das Fieber stieg immer weiter. Da kein Holz mehr da war, bat Leona Dragonfly sich nachts in die Kammer ihrer Mutter zu schleichen und die Mutter mit seinem Feuer zu wärmen. Es kam wie es kommen musste. Fiala wachte auf und sah Dragonfly, der beim Ausatmen kleine Flammenspeere in ihre Richtung blies. Was war sie erschrocken! Doch als sie sah, dass Leona friedlich bei ihm saß und die beiden miteinander tuschelten, war sie beruhigt. So wusste sie endlich, warum Leona in den letzten Monaten tagsüber immer so müde gewesen war.
Dragonfly kam auch auf die Idee, nachts hinauszufliegen und Essen für die Burgbewohner zu suchen. Und so kam es, dass Fiala langsam wieder gesund wurde und es jeden Tag gebratenes Fleisch in der Burg zu essen gab.
Leider trauten sich Fiala und Leona nicht, Leander von Dragonflys Existenz zu sagen, denn nun hatten sie beide Angst, das Dragonfly sterben müsste, wenn Leander ihn fand. Auch kehrten nach und nach die Diener zurück, die gesehen hatten, wie immer Rauch aus den Schornsteinen der Burg kam. Da Dragonfly auch sie mit Essen versorgte, wurde das Klima trotz des kalten Winters immer freundlicher und bald war die Burg ein recht heimischer Ort geworden.
Eines Abends hing Leander seinen trüben Gedanken nach. Er hatte es noch immer nicht geschafft, den Drachen zu finden. Wenigstens die Jagd funktionierte aber, da er es schaffte, genug Fleisch für alle in die Burg zu schaffen. Er hatte sich zwar schon über den leichten Brandgeruch gewundert, der manchen der Tiere in seinen Fallen anhaftete, aber er dachte, das käme durch den Hunger. Jedenfalls beschloss er, da der Mond so schön schien nach den Fallen zu sehen. Er nahm also Pfeil und Bogen und ging hinaus in den verschneiten Wald. Gleich die erste Falle war wieder voll. Ein fetter Schneehase lag leblos darin. Er löste ihn aus der Schlinge und wollte gerade weitergehen, als er rings um sich herum ein Rascheln hörte. Plötzlich tauchten ganz viele leuchtend gelbe Augen in der Dunkelheit auf und er hörte hinter sich ein leises Knurren. Er war mitten in ein Wolfsrudel geraten!
Leona und Dragonfly, die es gerade noch geschafft hatten, sich vor Leander auf einem Baum zu verstecken sahen die Wölfe ebenfalls. Leander warf den Hasen nach dem Anführer und griff schnell nach dem Bogen. Er schoss einen Pfeil ab, dann noch einen, aber es waren einfach zu viele Wölfe! Plötzlich hörte Leander einen lauten Ruf und von einer alten Eiche kam ein Feuerpfeil herab und versengte dem Wolf, der ihn angegriffen hatte das Fell. Dann kam noch ein Feuerpfeil und noch einer. Überall jaulten die Wölfe auf und flohen schließlich in alle Himmelsrichtungen. Zurück blieb ein erschöpfter verletzter Leander. Leona sprang vom Baum und lief zu ihrem Vater. Dragonfly schwebte langsam hinterher. Er wusste nicht, was er nun tun sollte.
Leona beugte sich über Leander und deckte ihn mit ihrem Mantel zu. Er schlug die Augen auf und sah Dragonfly hinter Leona stehen. Nun verstand er. Die Feuerpfeile, das war der Drache gewesen. Auch für das Wild in den Fallen und für das Feuer in der Burg war der Drache verantwortlich gewesen. Der Drache, den er monatelang gejagt hatte, hatte währenddessen die Burg und seine Familie am Leben erhalten. Leander schloss die Augen und wurde ohnmächtig.
Dragonfly und Leona brachten Leander zurück in die Burg und zu Fiala. Sie versorgte seine Wunden und dann saßen sie zu dritt und warteten, dass Leander aufwachen würde. Als er Stunden später die Augen aufschlug, hingen drei Augenpaare ängstlich an ihm. Stockend begann Leona Dragonfly´s und ihre Geschichte zu erzählen. Sie erzählte von Fialas Pflege, von der Nahrungsversorgung der Burg und von der Freundschaft, die sie alle mittlerweile mit Dragonfly verband. Leander beobachtete derweil Dragonfly. Still saß dieser auf dem Fensterbrett und sah trotz seiner Größe gar nicht gefährlich aus.
Und plötzlich wurde Leander etwas klar. Die alte Burg war nach und nach zu einem Zuhause geworden. Er fühlte sich hier wohl, Fiala und Leona auch. Die Diener waren dankbar für Essen und Wärme und standen mittlerweile loyal zu ihnen.
Als Leona ihre Erzählung beendet hatte, herrschte Schweigen. Alle warteten auf Leanders Entscheidung. Als er anfing zu sprechen, sah er die Erleichterung in den Gesichtern seiner Lieben. Er dankte Dragonfly für all das, was er für seine Familie und die Burg getan hatte. Gleichzeitig gab er aber zu bedenken, dass die Menschen seit Urzeiten Angst vor den Drachen hätten und sie deshalb gejagt hätten. Da mittlerweile der Morgen heran gebrochen war, ging er mit Fiala und Leona hinab in die große Halle und rief die Diener zu sich, die schon mit ihrem Tagwerk begonnen hatten. Als alle versammelt waren, erzählte er die Geschichte von den Wölfen und wie das Fleisch für sie alle in die Fallen geraten sei. Auch wo das Feuerholz und die Flammen in den Kaminen herkam berichtete er.
Unterdessen wurde das Murmeln im Saal immer lauter. Eine Frau sagte leise zu ihrem Mann, dass ihr Jüngster, der kleine Matz sicher gestorben wäre, hätte nicht eines Morgens ein Korb mit Holz und Rebhühnern für eine nahrhafte Suppe vor der Tür gestanden. Ein alter Mann erinnerte sich plötzlich wieder an Dachschindeln, die der Wind losgerüttelt hatte, die aber am nächsten Morgen wie von Zauberhand wieder dort lagen wo sie hingehörten. So ging es nun weiter und weiter. Dragonfly oben auf dem Treppenabsatz bekam schon ganz rote Drachenohren allein vom Zuhören. Dann bat Leander um Ruhe und hob die Hand. Langsam kam nun Leona die Treppe hinab und hinter ihr schwebte ganz langsam und vorsichtig ein grün-gelb-orange gemusterter Drache. Was erschrecke das die Leute, doch wie neugierig waren sie auch! Als dann der erste einen Jubelruf ausstieß schlossen sich alle erleichtert an! Das Eis war gebrochen! Es wurde an diesem Tag noch viel erzählt, gelacht und getanzt.
Es war zwar so, dass Dragonfly der letzte der Drachen war, aber er hatte eine Heimat und Freunde gefunden. Fast war es so, wie es früher immer gewesen war. Drachen waren die Freunde des Menschen und alle waren für einander da.